Alle Gesellschaftsschichten sprechen darüber, dass Weizen ungesund ist. Von der besorgten Mutter bis zum erfolgreichen Leistungssportler betrachten viele das Grundnahrungsmittel zunehmend kritisch. Ausgehend von diversen Trenddiäten der Stars, die eine weizenfreie Ernährung als unumgänglich für Gesundheit und Leistung bewerben, zieht sich das Interesse um die Thematik mittlerweile bis in die Wissenschaft. So untersuchen Ärzte und Ernährungswissenschaftler, welche gesundheitlichen Auswirkungen Weizenkonsum oder dessen Verzicht haben. Wir beleuchten in diesem Blogbeitrag das Thema wie Weizen ungesund sein könnte genau – also wir prüfen die das Getreide auf Herz und Niere.

 

Macht Gluten den Weizen ungesund?

Weizen, Reis und Mais sind die drei Hauptkulturpflanze weltweit. Die meistverbreitete Art ist Triticum aestivum L oder auch gewöhnlicher bzw. Weichweizen genannt. Daneben ist vor allem noch Hartweizen (Triticum durum) bekannt, da daraus häufig Nudeln und Couscous hergestellt werden. Neben vielen wertvollen Nährstoffen enthalten alle Weizensorten vor allem eines: Gluten. Wer A sagt, muss auch B sagen. Das bedeutet, sobald von Weizen die Rede ist, gehört das Thema Gluten mit auf den Tisch. Im zweiten Teil des Beitrags erläutern wir noch andere Faktoren, aber im Sinne der öffentlichen Wahrnehmung, warum Weizen ungesund sei, beginnen wir mit Gluten.

 

Was ist Gluten und wieso ist deshalb Weizen ungesund?

Gluten ist eine komplexe Proteinmischung. Diese Proteine bilden den in Wasser unlöslichen Anteil eines Weizenteiges: Wäscht man Stärke und andere lösliche Materialen aus, so bleibt der „Weizenkleber“ übrig. Kaut man auf einem Weizenkorn lange genug herum, so erhält man eine Kaugummi-ähnliche Masse: Gluten. Mengenmäßig macht es ca. 70 bis 80 Prozent des Gesamtproteingehalts des Weizenkorns aus. Der verbleibende Anteil besteht aus Albuminen und Globulinen, welche Struktur- und Stoffwechselfunktionen übernehmen. Definitionsgemäß ist nur dieses Proteingemisch aus Weizenmehlteigen als Gluten zu benennen und in dieser Form nur in den Unterarten von Triticum zu finden. Leider bezeichnen außerhalb des Expertenbereichs viele fälschlicherweise ähnliche Proteine anderer Getreidesorten ebenfalls als Gluten. Korrekt wäre die Bezeichnung Prolamine und Glutenin. Dazu weiter unten noch mehr.

 

Zusammensetzung eines Weizenkorns (Quelle: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5707740/)

 

Das Glutenprotein ist das Speicherprotein des Weizenkorns. Deshalb ist es auch nur im Endosperm, als im Mehlkörper des Korns zu finden. Die unlösliche Fraktion des Glutens teilt man weiters Prolamin und Glutenin auf. Der wichtigste Vertreter der Prolamine ist das Gliadin. Dieses Protein wird vor allem durch 2 Aminosäuren aufgebaut: Prolin und Glutamin. Diese beiden Grundbausteine der Proteine bilden Strukturen aus, die hoch resistent gegen die menschliche Proteinverdauung des Magens und Darms sind.

 

Zusammensetzung des Weizenkorns (Quelle: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jgh.13703

 

Die wichtigsten Prolamine und deren Charakteristika – ist deswegen Weizen ungesund?

Farinin und Purinin

Diese beiden Proteine ähneln dem Gliadin sehr, enthalten jedoch nicht die wiederholenden Abschnitte der Aminosäurensequenzen. Da sie löslich in Wasser sind, klassifiziert man sie als Globuline. Die Mischeigenschaften von Mehlen verbessert ein Untertyp dieser Proteine durch die Ausbildung großer Polymere mit Glutenin. Gesundheitlich spielen diese Proteine eine untergeordnete Rolle.

 

Puroindolin (PINs) und Grain Softness Protein (GSP)

In früheren Zeiten war die Härte ein Hauptunterscheidungsmerkmal, um Weizenarten in Klassen einzuteilen. Die Bezeichnung Härte ist jedoch irreführend, da das verantwortliche Gen und damit das Protein Weiche erzeugt. Dieses fehlt im Durum Weizen zur Gänze, weshalb dieser ultrahart ist.

PINs machen nur einen sehr kleinen Anteil des Eiweiß im Weizen aus (weniger als 1 Promille), bedingen aber 75 Prozent der Getreidehärte in Brotweizen. Ein weiteres Gen der PINs codiert ein Protein, welches für die Proteolyse von Glutenproteinen verantwortlich ist. Auch dieses stellt einen sehr geringen Anteil mit 0,4 Prozent des Trockengewichts von Weißmehl.

 

Non-specific Lipid Transfer Proteine (LTPs)

Diese Proteine finden sich auch in vielen anderen Pflanzengeweben. Dennoch ist die genaue biologische Funktion unbekannt. Es handelt sich um kleine Proteine, die in der Aleuronschicht und im Embryo konzentriert vorliegen. Dadurch enthalten vor allem Vollkornmehle vermehrt diese Eiweiße. LTPs sind Allergene von Samen, Früchten und Pollen und die Weizen-LTPs tragen zu Lebensmittelallergie und dem Bäcker-Asthma wesentlich bei. Wir haben also einen ersten Bestandteil des Weizens identifiziert, der für gewisse Personen eine Gesundheitsgefahr darstellt.

 

Alpha-Amylase/Trypsin Inhibitoren (Weizen ATIs)

Die Wissenschaft untersucht seit über 40 Jahren diese Proteine. Es gibt daher eine umfassende, aber verwirrende Literatur. Das entstand auf Grund der Komplexität der Proteinfraktion und der Eigenschaften der Untersuchungsmethoden. ATIs machen nur 2 bis 4 Prozent des Gesamtproteins im modernen Weizen aus. Diese Albumine agieren als Pflanzenschutzstoffe und sind charakteristische Weizenallergene und besonders für das Bäcker-Asthma relevant.

Darüber hinaus brachten Wissenschaftler in den letzten Jahren ATIs in Verbindung mit anderen unterwünschten Reaktionen nach Weizenkonsum. So spielen sie eine wichtige Rolle bei der Zöliakie und der Nicht-Zöliakie-Weizen bzw. Gluten-Sensitivität (zu diesen und weiteren Weizen-bedingte Erkrankungen liest du im zweiten Teil noch mehr). ATIs aktivieren einen immunologischen Signalweg, wodurch Monozyten, Makrophagen und dendritischen Zellen entzündliche Botenstoffe freisetzen.

Im kulinarischen Kontext tragen ATIs zu den Kochqualitäten von Pasta bei. Sie wurden deshalb ursprünglich als Glutenin-Komponenten betrachtet. Neben ATIs enthält das Weizenkorn viele weitere Proteine anderer Familien von Protease und Amylase-Inhibitoren. Also Eiweiß, das Enzyme an der Spaltung von Proteinen und Stärke hindert. All diese Proteine teilen gewisse Eigenschaften: Sie sind verhältnismäßig klein und rund. Viele Bindungen stabilisieren die enge Proteinfaltung. Das macht sie gegenüber Hitze und Verdauungsprozessen resistent. Die dennoch stattfindende Proteinverdauung lässt Fragmente entstehen und verhindert eine vollständige Aufspaltung. ATIs interagieren stark mit Gluten und sind daher immer in diesem enthalten. Aus diesem Grund müssen sie in Studien mit Gluten immer auch als Auslöser von Symptomen bedacht werden.

 

Wheat Germ Agglutinin (WGA)

Dieses Protein liegt vor allem angereichter im Keim des Weizens vor. Deshalb finden sich im Vollkornmehl (30mg/kg) höhere Konzentrationen als im Weißmehl (4mg/kg). Wie ATIs zeigen sie allerdings eine hohe Stabilität gegen Hitze und Verdauungsenzyme. WGA gehört zur Gruppe der sogenannten Antinährstoffe, da es sich um ein Lektin handelt. Diese Stoffe binden an Strukturen auf der Oberfläche der Zellmembran.

Im gesundheitlichen Kontext gilt es die vorhandene Literatur vorsichtig zu interpretieren. So zeigt WGA zwar im Zellversuch eine Epithelschädigung und immunologische Effekte. Das Gluten-Lektin induziert eine Freisetzung von entzündungsfördernden Zytokinen und beeinträchtigt so die Integrität der Darmepithelschicht. So könnte ein Beitrag zu intestinalen und auch Manifestationen außerhalb des Darms im Zusammenhang mit Glutenaufnahme erklärbar sein. Im Gegensatz zu ATIs konnten aber im Lebendversuch am Menschen keine Immunstimulierungsaktivität demonstriert werden.

 

Wo ist Gluten überall enthalten – nicht nur Weizen ungesund?!

 

Wie bereits erwähnt, spricht man wissenschaftlich ausschließlich bei Weizen von Gluten. Doch Gliadin-ähnliche Proteine, als wesentliches Protein der Glutenfraktion, finden sich ebenso in anderen Getreidesorten. Im Roggen nennen wir dieses Protein Secalin, bei der Gerste Hordein und im Hafer Avenin. Die Glutenin-Fraktion ähnelt in diesen dem des Weizens. Auch die altertümlichen Getreide wie Kamut, Emmer, aber auch der von vielen als gesünder betrachtete Dinkel enthalten Gluten.

Selbst der als glutenfrei bezeichnete Mais enthält ein Gliadin-verwandtes Protein namens Zein. Und auch Hirse und Reis speichern rund 50 Prozent ihres Eiweiß in Form von Prolaminen. Das Pseudo-Getreide Quinoa enthält wiederum Lektine. Hier gilt aber ganz klar: Lektin ist nicht gleich Lektin. Wie sich der Konsum von Weizen und möglichen Alternativen auf die Gesundheit auswirken (können), erörtern wir genauer im zweiten Teil.

 

Wofür brauchen wir Gluten?

 

Der weltweite hohe Konsum von glutenhaltigen Getreiden ist nicht zufällig. Über die Jahrhunderte in die Neuzeit vermutete wohl niemand, dass Weizen ungesund sein könnte. Es waren viel mehr einige Eigenschaften, die Weizen über den gesamten Erdball zum Grundnahrungsmittel machten. Darunter die Anpassungsfähigkeit des Süßgrases an Umweltbedingungen und Klima. Doch mit Sicherheit liegen die Hauptgründe in den funktionalen Charakteristika der Weizenkörner in der Küche und Backstube.

Als einziges Getreide weist es Backeigenschaften in dieser Form auf. Leichte und luftige Backwaren, sind ohne moderne Hilfsmittel und Trickserei nur mit Weizenmehl möglich. Doch aus Weizenmehl lassen sich auch in Handarbeit Pasta und Nudeln mit hervorragender Formbarkeit und Konsistenz herstellen. Die Qualität all dieser Produkte bestimmen hauptsächlich die Glutenproteine. Sie bilden ein durchgehendes Netzwerk im Teig. Dieses ist einerseits für den Zusammenhalt von Pasta und Co notwendig. Andererseits sind die viskoelastischen Eigenschaften, die sich aus den räumlichen Strukturen ergeben fürs Brotbacken entscheidend.

Einmal mehr spielen hier Gliadin und Glutenin die wesentlichen Rollen. Glutenin-Untereinheiten formen große dreidimensionale Netzwerke aus. Chemische Bindungen durch die Schwefel-haltigen Aminosäure Cystein stabilisieren diese. Die entstandenen Netzwerke interagieren mit Gliadinen und eine Kombination chemischer Kräfte festigen die Polymere. Das alles passiert unsichtbar, während du deinen Weizenteig knetest. Doch genau dieses Kneten ermöglicht erst die Ausbildung der haltgebenden Eiweißstrukturen.

 

Weizen in Fleischprodukten und mehr

Neben dem herkömmlichen Einsatz für Brot, Nudeln und Backwaren aller Art findet Gluten auf Grund der Fähigkeit als Bindemittel und Füllstoff zu agieren und dabei hitzestabil zu sein in einem breiten Spektrum Anwendung. In vielen verarbeiteten Lebensmitteln setzen Produzenten Gluten zu, um die Textur, den Geschmack oder die Feuchtigkeitshaltung zu verbessern. Deshalb findest du in vielen Produkten, die du nicht mit Weizen in Verbindung bringen würdest Gluten in der Zutatenliste. Beispielsweise in verarbeiteten Fleischwaren, aber auch in vegetarischen Fleischersatzprodukten.

Gluten setzen die Lebensmittelproduzent aber auch als Verdickungsmittel, Emulgator und Geliermittel ein. So etwa in Süßwaren, Eiscremen und sogar Butter. Füllungen zum Backen und Dressings sind weitere Einsatzbereiche. Und letztlich erfüllt Gluten in Marinaden und anderen Würzmitteln eine wichtige Funktion für das Mischverhalten und die Cremigkeit.

 

Ist Weizen ungesund? So geht es weiter…

 

Du hast bereits viele Einblicke in die Hintergründe des Mythos vom ungesunden Weizen erhalten. Im zweiten Teil klären wir noch genauer, wovon die Gesundheitswirkung noch abhängig ist und vor allem für wen tatsächlich Weizen ungesund ist. Du beschäftigst dich viel mit dem Thema Ernährung? Lies doch im hier im verlinkten Blogbeitrag, wie du mit einfachen Punkten, deine Ernährung optimierst. Wenn du dein Wohlbefinden und deine Leistungsfähigkeit durch dein Essen verbessern möchtest, dann schau dir unsere exklusiven Pakete zur Ernährungsberatung hier an.

 

 

Quellen:

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5707740/

https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jgh.13703

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6625226/

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6630947/

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6625226/

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5707740/